Knesset beschloss Teil des Justizumbaus

Raw Text

APA/AFP/Ronaldo Schemidt

Trotz großer Protesten im ganzen Land, des Drucks von Milizsoldaten, des geschlossenen Widerstands der Opposition und geradezu flehentlicher Appelle des Staatsprasidenten und des US-Prasidenten hat die rechts-religiose Regierung in Israel Montagnachmittag den ersten Teil des Justizumbaus beschlossen.

Bis zur letzten Minute hatte es hektische Versuche gegeben, doch noch einen Kompromiss zu finden, angefuhrt von Staatsprasident Jizchak Herzog. Doch letztlich wurde das Gesetz mit 64 Stimmen der Koalition in zweiter und dritter Lesung endgultig beschlossen. Die Opposition boykottierte geschlossen die Abstimmung und verließ den Saal.

Justizminister Jariv Levin, der den Justizumbau federfuhrend betreibt, meinte unmittelbar nach der Entscheidung, man habe „einen ersten Schritt in einem historischen Prozess, der das Justizsystem des Landes repariert“, gemacht. Auch Verteidigungsminister Joav Galant, auf den bis zuletzt Hoffnungen der Opposition ruhten, er konnte sich in der Koalition fur einen Kompromiss stark machen, stimmte fur das Gesetz.

Reuters/Amir Cohen

Beschrankung des Hochstgerichts

Tritt das Gesetz in dieser Form in Kraft, kann das Parlament dem Obersten Gerichtshof damit die Moglichkeit entziehen, Regierungsentscheidungen als „unangemessen“ einzustufen und so außer Kraft zu setzen. Die Klausel ist daher einer der umstrittensten Bestandteile der Justizreform. Kritiker furchten eine willkurliche Besetzung hochrangiger Regierungsposten sowie eine Begunstigung von Korruption. Konkret verdachtigen sie Regierungschef Benjamin Netanjahu, gegen den ein Korruptionsverfahren lauft, seine Verurteilung abwenden zu wollen.

Oppositionsfuhrer Jair Lapid kundigte Konsequenzen an. Die Opposition werde Dienstagfruh beim Hochstgericht eine Petition gegen die „einseitige Aufhebung des demokratischen Charakters des Staates Israel“ einreichen, sagte er. Er appellierte auch an Reservisten der Armee, eine Entscheidung des Hochstgerichts uber das Gesetz abzuwarten, ehe sie ihren Dienst verweigern.

Folgen unklar

Unklar ist, wie es mit den Protesten auf der Straße weitergeht, und auch, wie die Wirtschaft, die weitgehend geschlossen gegen den Justizumbau ist, reagiert. International konnte eine Herabsetzung des Kreditratings der internationalen Agenturen drohen. Das hatten diese vor Monaten bei der letzten regularen Bewertung in ihren Ausblicken in Aussicht gestellt. Unklar ist auch, ob der Beschluss konkrete Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen, insbesondere zu den USA, haben wird.

Reuters/Ilan Rosenberg

Jedenfalls belasten die Umbauplane der Regierung die Beziehungen Israels mit dem Verbundeten USA. US-Prasident Joe Biden hatte Netanjahu bis zuletzt direkt und via Interviews gedrangt, bei einer Justizreform einen breiten Konsens anzustreben. Einer vom Fernsehsender Kan veroffentlichten Umfrage zufolge sind 46 Prozent der Israelis gegen die Reform, 35 Prozent befurworten sie, und 19 Prozent sind unentschlossen.

Politisches Uberleben und Grundsatzfragen

Netanjahu hat wegen mehrerer Anklagen – unter anderem wegen Korruption – ein starkes Eigeninteresse, die Justiz zu schwachen. Dazu kommen seine rechten bis rechtsradikalen Koalitionspartner, die sich seit Jahren die Schwachung der Justiz auf die Fahne geheftet haben und ohne die sich Netanjahu nicht an der Macht halten kann. Die Basis zu allen gemaßigten und Mitte-links-Parteien hat Netanjahu in fruheren Koalitionen zerstort. Keine von ihnen ist bereit, mit Netanjahu nochmals eine Koalition zu bilden.

Im Hintergrund geht es – nicht zuletzt aufgrund eines demografischen Wandels, namlich des steigenden Anteils von Religiosen und Palastinensern – um grundsatzliche Fragen fur das Land: Wie sakular bzw. wie religios soll das offentliche Leben sein? Wie viele Rechte sollen Minderheiten, etwa die rund 20 Prozent der Gesamtbevolkerung umfassenden israelischen Palastinenserinnen und Palastinenser, haben? Und anhand des Konflikts uber judische Siedlungen in besetzten Gebieten: Wie sollen das Zusammenleben mit den Palastinensern und eine dauerhafte Losung des Konflikts aussehen?

Guido Tiefenthaler, ORF.at/ Agenturen

Links:

Israelische Armee

Knesset

Israelischer Ministerprasident

Israelisches Hochstgericht

Single Line Text

APA/AFP/Ronaldo Schemidt. Trotz großer Protesten im ganzen Land, des Drucks von Milizsoldaten, des geschlossenen Widerstands der Opposition und geradezu flehentlicher Appelle des Staatsprasidenten und des US-Prasidenten hat die rechts-religiose Regierung in Israel Montagnachmittag den ersten Teil des Justizumbaus beschlossen. Bis zur letzten Minute hatte es hektische Versuche gegeben, doch noch einen Kompromiss zu finden, angefuhrt von Staatsprasident Jizchak Herzog. Doch letztlich wurde das Gesetz mit 64 Stimmen der Koalition in zweiter und dritter Lesung endgultig beschlossen. Die Opposition boykottierte geschlossen die Abstimmung und verließ den Saal. Justizminister Jariv Levin, der den Justizumbau federfuhrend betreibt, meinte unmittelbar nach der Entscheidung, man habe „einen ersten Schritt in einem historischen Prozess, der das Justizsystem des Landes repariert“, gemacht. Auch Verteidigungsminister Joav Galant, auf den bis zuletzt Hoffnungen der Opposition ruhten, er konnte sich in der Koalition fur einen Kompromiss stark machen, stimmte fur das Gesetz. Reuters/Amir Cohen. Beschrankung des Hochstgerichts. Tritt das Gesetz in dieser Form in Kraft, kann das Parlament dem Obersten Gerichtshof damit die Moglichkeit entziehen, Regierungsentscheidungen als „unangemessen“ einzustufen und so außer Kraft zu setzen. Die Klausel ist daher einer der umstrittensten Bestandteile der Justizreform. Kritiker furchten eine willkurliche Besetzung hochrangiger Regierungsposten sowie eine Begunstigung von Korruption. Konkret verdachtigen sie Regierungschef Benjamin Netanjahu, gegen den ein Korruptionsverfahren lauft, seine Verurteilung abwenden zu wollen. Oppositionsfuhrer Jair Lapid kundigte Konsequenzen an. Die Opposition werde Dienstagfruh beim Hochstgericht eine Petition gegen die „einseitige Aufhebung des demokratischen Charakters des Staates Israel“ einreichen, sagte er. Er appellierte auch an Reservisten der Armee, eine Entscheidung des Hochstgerichts uber das Gesetz abzuwarten, ehe sie ihren Dienst verweigern. Folgen unklar. Unklar ist, wie es mit den Protesten auf der Straße weitergeht, und auch, wie die Wirtschaft, die weitgehend geschlossen gegen den Justizumbau ist, reagiert. International konnte eine Herabsetzung des Kreditratings der internationalen Agenturen drohen. Das hatten diese vor Monaten bei der letzten regularen Bewertung in ihren Ausblicken in Aussicht gestellt. Unklar ist auch, ob der Beschluss konkrete Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen, insbesondere zu den USA, haben wird. Reuters/Ilan Rosenberg. Jedenfalls belasten die Umbauplane der Regierung die Beziehungen Israels mit dem Verbundeten USA. US-Prasident Joe Biden hatte Netanjahu bis zuletzt direkt und via Interviews gedrangt, bei einer Justizreform einen breiten Konsens anzustreben. Einer vom Fernsehsender Kan veroffentlichten Umfrage zufolge sind 46 Prozent der Israelis gegen die Reform, 35 Prozent befurworten sie, und 19 Prozent sind unentschlossen. Politisches Uberleben und Grundsatzfragen. Netanjahu hat wegen mehrerer Anklagen – unter anderem wegen Korruption – ein starkes Eigeninteresse, die Justiz zu schwachen. Dazu kommen seine rechten bis rechtsradikalen Koalitionspartner, die sich seit Jahren die Schwachung der Justiz auf die Fahne geheftet haben und ohne die sich Netanjahu nicht an der Macht halten kann. Die Basis zu allen gemaßigten und Mitte-links-Parteien hat Netanjahu in fruheren Koalitionen zerstort. Keine von ihnen ist bereit, mit Netanjahu nochmals eine Koalition zu bilden. Im Hintergrund geht es – nicht zuletzt aufgrund eines demografischen Wandels, namlich des steigenden Anteils von Religiosen und Palastinensern – um grundsatzliche Fragen fur das Land: Wie sakular bzw. wie religios soll das offentliche Leben sein? Wie viele Rechte sollen Minderheiten, etwa die rund 20 Prozent der Gesamtbevolkerung umfassenden israelischen Palastinenserinnen und Palastinenser, haben? Und anhand des Konflikts uber judische Siedlungen in besetzten Gebieten: Wie sollen das Zusammenleben mit den Palastinensern und eine dauerhafte Losung des Konflikts aussehen? Guido Tiefenthaler, ORF.at/ Agenturen. Links: Israelische Armee. Knesset. Israelischer Ministerprasident. Israelisches Hochstgericht.